Gipsy Blood

ZIGEUNER haben MUSIK im BLUT … BLUT spenden für Nichtroma “Musik-in-die-gene”

performative Rauminstallation von Friedemann Derschmidt und Bransilav Nikolic

 

„,Blut` spielt in sehr unterschiedlichen Disziplinen eine wichtige Rolle, unabhängig davon, ob es sich um die Geschichte der medizinischen Ideen und Entdeckungen zum Blut im Körper handelt (Säftelehre, Blutkreislauf, Genetik) oder um die politischen Auswirkungen von pseudo-biologistischen Theorien zum Blut (Rassenideologien, Eugenik, der Bedeutungswandel des Begriffs ‘Blutschande’).
(…)“Blut kann auch als Metapher für Geld und Kapital gelesen werden z.B. der Begriff „Geldkreislauf“ (Thomas Hobbes) das Blut (gilt) als Symbol für `Leben` oder als Zeichen für die Unwiderruflichkeit eines Vertrags. In vielen Ritualen und Geboten steht das Blut im Zentrum:
Blutsbrüderschaft, Blutrache, Blutschuld, Initiationsriten, Mensur, Unreinheit des Menstruationsblut…
Beschreibungstext für das Symposium „Mythen des Blutes“

1-3 Dezember 2005 / Berlin
Christina von Braun / Christoph Wulf

 

performative Rauminstallation

ZIGEUNER haben MUSIK im BLUT
… BLUT spenden für Nichtroma MUSIKER/Innen
Musik-in-die-gene

Wenn ein Jazz – Club, wie hier das Porgy & Bess eine Romawoche veranstaltet, so freuen sich alle auf groovende, tanzbare, unbezwungene, feurige Musik, denn wir wissen: Zigeuner haben Musik im Blut! Sie sind unbestreitbar die besseren Musiker, SängerInnen, TänzerInnen, die ohne akademische Attitüde authentisches Lebensgefühl auch in graue, westeuropische Großstädte bringen können. Warum soll diese positive Bild hinterfragt werden, das doch den Ausgegrenzten soviel Anerkennung bringt? Eine provokante, leicht verständliche, witzige und vielleicht ein bisschen unangenehme Rauminstallation und Plakataktion von Friedemann Derschmidt und Bransilav Nikolic wirft diese Frage auf.

1. Was wird gemacht:

Eine Rauminstallation:

a) Fotoaktion: Fotografiert werden jeweils ein Roma / eine Romni jeweils auf einem Spitalsbett liegend und ein österreichischer Musiker / eine österreichische Musikerin daneben sitzend und mit einem Transformationskabel verbunden sind. Dazu Text: Zigeuner haben Musik im Blut – Blut spenden von Romamusiker für Nichtroma. Die Fotos werden ausgestellt und bilden einen Teil der Rauminstallation.

b) Rauminstallation im progy & bess im Rahmen des „Gipsy Social Club“: Aufgebaut wird eine „Blutspendestation“ wie beim roten Kreuz: Ein Transfusionsgerät wird verwendet. Ein Spitalsbett. MusikerInnen und Publikum werden eingeladen, sich hier Romablut transfusionieren zu lassen. Gereicht wird ein kleiner Imbiss um sich zu erholen wie beim Roten Kreuz auch: Zigeunerräder, Zigeunerspieße…

2. Um was geht es?

Auf witzig-ironische und dennoch durchdachte Art soll der Mythos behandelt werden, dass Zigeuner „Musik im Blut“ hätten. Bei dieser Aktion wird prinzipiell die Idee hinterfragt, dass im „Blut“ (oder neuerdings: in den Genen) Eigenschaften, Talente oder Neigungen festgeschrieben seien. Nun ist es heute (meint seit Abgrenzung von den Nazi-Ideologien wie „Blutschande“ und „Rassenlehre) nicht mehr üblich offiziell zu behaupten, jemand hätte ein bestimmtes „Rassenmerkmal“ „im Blut“ (wenn gleich viele dieser Gedanken in Form der neuen Gen- oder Hirnforschung wieder aktuell zu werden scheinen).
Oftmals verborgen hinter der Rede einer „anderen Kultur“ (die den Menschen quasi zur zweiten Natur wurde und die mit der „eigenen Kultur“ als unvereinbar gedacht wird) werden jedoch dieselben Stereotypen wie ehedem verbreitet.

Im Alltagsdenken und Sprechen ist das Bild vom Zigeuner mit dem speziellen Musikblut immer noch verankert. Das hat vermutlich auch damit zutun, dass mit „Musik und im Blut haben“ so etwas feuriges, unbezwingbares immer tanzendes verbunden wird – und so sollen Zigeuner immer noch gesehen werden, denn so dienen sie gut als Projektionsfläche verdrängter Wünsche und Sehnsüchte der Gadjes (Nichtroma) – die nicht mehr verdrängt werden müssen, da sie auf authentischen Romakonzerten und Tanzevents ausgelebt werden können. Es gibt kein Ent-rinnen, wenn die Stimme des Blutes ruft…

„Musik im Blut haben“ verweist auf die gesamte Problematik des positiven Rassismus. „Positiver Rassismus“ bedeutet, dass auch gut gemeinte, positive Zuschreibungen die Betroffenen verletzen können, da sie in ein bestimmtes Eck gestellt werden. Wird eine Bevölkerungs¬gruppe pauschal mit positiven Zuschreibungen bedacht, so wird nicht mehr vom einzelnen Menschen und seiner Geschichte ausgegangen sondern eben von einem schönen Bild, einem Klischee. Problematisch ist dabei auch, dass meist nur mehr diese eine (vermeintliche oder tatsächliche) Fähigkeit wahrgenommen wird und alle anderen, vor allem intellektuellen oder politischen Fähigkeiten und Bedürfnisse aus dem Blick geraten. Der einzelne Roma kann nicht mehr das sein, was er oder sie ist / sein will / sein könnte, sondern muss die Rolle einnehmen, die ihm von der Mehrheitsgesellschaft zugedacht wird: Musiker oder Tänzerin in einer nichtakademischen, folkloristischen Form. Sobald wir das Denken in Klischees zulassen, kann oft nicht mehr so genau zwischen „gut gemeinten“ und „problematischen“ Zuschreibungen unterschieden werden: Wenn man „Musik im Blut“ haben kann, so ist man vielleicht auch ein „Schlitzohr“ und ein genetisch bedingter Dieb. Einmal auf etwas festgelegt – immer auf alles festgelegt. Da gibt es kein ent-rinnen, wenn die Stimme des Blutes ruft.„Musik im Blut haben“ bedeutet schließlich auch, dass (im Gegensatz zu den „armen, blutleeren originär Nicht-zigeuner“ Musikern) das Musikmachen nicht hart erarbeitet werden musste. Während die einen sich die Beherrschung ihres Instruments ehrlich erarbeiteten, folgen die anderen nur dem Pochen in ihren Adern…

die Aktion „Musik im Blut“ stellt also auch den Mythos in Frage, dass RomamusikerInnen ihr Können von der Natur geschenkt bekommen haben und dass es nicht wie alles andere auch erlernt wurde und erlernbar ist. (Das ist bitter, denn da werden Zigeuner plötzlich lernfähig und hören damit auf, das zu sein, was wir unter Zigeuner verstehen).

Das Lachen und die Peinlichkeit

Jedesmal, wenn von der Aktionsidee berichtet wurde, war ein Lachen die Folge. Und dieses Lachen zeigt, dass es ein alltagskulturelles Wissen um diese Zuschreibungen und ihre Unsinnigkeiten gibt. Und dass sich die Menschen dabei irgendwie ertappt fühlen. Genau hier – bei der Wahrnehmung von Peinlichkeit Angesichts des eigenen Allerweltsrassismus– sehen wir eine Andockstelle für Veränderungen.

 

Karin Schneider
Institut zur Erforschung und Erschaffung von Ritualen und Zeremonien – ww.ritesinstitute.org

 

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